Klima, Recycling und Arbeitsplätze: Auswirkungen der Windenergie

13. Januar 2025

Ein internationales Team von Forschenden hat die Auswirkungen der Windenergie auf Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und Recht untersucht. 24 Co-Autor:innen aus wissenschaftlichen Instituten in sieben europäischen Ländern waren an der Arbeit beteiligt, dabei auch ein Team der Jülicher Systemanalyse. Es flossen mehr als 400 einzelne Studien in die Analyse ein. Das Review-Paper wurde in der renommierten Fachzeitschrift Joule publiziert und liefert Orientierung für zukünftige Studien und politische Entscheidungen.

Der Ausbau der Windenergie hat Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und andere Bereiche.
Der Ausbau der Windenergie hat Auswirkungen auf Umwelt, Gesellschaft, Wirtschaft und andere Bereiche.
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

„Die Studie befasst sich mit den Auswirkungen der Windenergie auf die Systeme, in die sie eingebettet ist“, erklärt der Hauptautor der Studie Russell McKenna, Professor für Energiesystemanalyse an der ETH Zürich und Leiter des Labors für Energiesystemanalyse am Paul Scherrer Institut. Die Co-Autor:Innen der Studie sind fast alle an einem dreijährigen Projekt namens WIMBY („Wind In My Backyard“) beteiligt, das von der Europäischen Kommission finanziert wird. Im Rahmen dieses Projekts führten die Forscher:innen eine ganzheitliche Analyse der Windenergie durch.

Im Bereich Umwelt und Klima geht es beispielsweise um die Auswirkungen von Windparks auf das lokale Klima oder um das End-of-Life-Szenario von Rotorblättern, die kaum recycelt werden können. Bei den sozioökonomischen Systemen haben die Forscher unter anderem lokale Kosten und Nutzen von Windkraftanlagen identifiziert. Beim politisch-rechtlichen System geht es um die Frage, was passiert, wenn die Lieferkette aus geopolitischen Gründen unterbrochen wird. Insgesamt wurden über 400 Studien ausgewertet.

Neue Ansätze fürs Recycling

Die Forscher:innen fanden einige überraschende Ergebnisse. So wird etwa der Infraschall, der tieffrequente Lärm, oft als Problem für die Bevölkerung genannt, weil er zu Irritationen führen und sogar Gegenstände in Häusern zum Vibrieren bringen kann. „In der Forschung gibt es jedoch nur eine uns bekannte Studie, die eine bestimmte Windkraftanlage untersucht hat, und das war vor etwa drei Jahrzehnten, als gerade die ersten Prototypen gebaut wurden“, so McKenna. „Bei den heutigen Anlagen ist kein Zusammenhang mit tieffrequentem Lärm mehr nachweisbar, das ist aber noch nicht in das allgemeine Wissen vorgedrungen.“

Eine Herausforderung, die die Wissenschaftler:innen identifiziert haben, ist das Recycling. In den nächsten Jahren müssen zehntausende Windkraftanlagen ersetzt werden, deren Rotorblätter nicht recycelt werden können. Grund hierfür ist das Faserbindemittel, welches eine Rückgewinnung der Glasfasern unmöglich macht. Doch es gibt Ansätze, um dieses Problem in der nächsten Generation zu vermeiden: Technologien wie die Pyrolyse können zur Rückgewinnung der Blattfasern beitragen. Bei neueren Rotorblättern verwenden die großen Hersteller jetzt ein Harz, das sich am Ende der Lebensdauer auflöst, so dass die Fasern in 20 Jahren leichter wiedergewonnen werden können. „Es wird also eine Kombination von Ansätzen verfolgt, um möglichst viel Material in den Kreislauf zurückzuführen“, so McKenna. „Letztlich sind solche Belastungen immer gegen die positiven Nebeneffekte des Windenergieausbaus abzuwägen – einer davon ist die Abkehr von fossilen Energieträgern.“

Noch viel Aufklärungsarbeit nötig

Den größten Handlungsbedarf sehen die Forscher:innen in einem anderen Bereich: „Es liegt auf der Hand, dass die Akzeptanz von Windkraftanlagen in der Bevölkerung entscheidend ist, da sie das Landschaftsbild prägen“, so McKenna. Generell ist die Akzeptanz in der Bevölkerung hoch. Aber auf lokaler Ebene gibt es oft Widerstand. „Es hat sich gezeigt, dass die Akzeptanz für Windturbinen steigt, wenn die Gemeinde davon profitiert, zum Beispiel durch eine finanzielle Beteiligung am Projekt oder wenn Arbeitsplätze für die lokale Wirtschaft geschaffen werden“, sagt McKenna. „Dabei geht es nicht nur um technische Arbeitsplätze – Windparks können auch attraktive Standorte für den Tourismus sein.“

Generell muss in der Bevölkerung noch viel Aufklärungsarbeit über die jeweiligen Vor- und Nachteile der Windenergie geleistet werden. „Bei allen Energietechnologien ist immer ein Kompromiss notwendig“, so McKenna. „Es ist unvernünftig, sich auf die Nachteile einer Technologie zu konzentrieren, ohne die Alternativen zu berücksichtigen.“

Drei Fragen an Heidi Heinrichs und Jann Weinand von der Jülicher Systemforschung. Sie gehören zum Hauptautoren-Team, welches die Studie konzeptualisiert hat.

Prof. Dr.-Ing. Heidi Heinrichs
Prof. Dr.-Ing. Heidi Heinrichs
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Ihre Analyse der Auswirkungen der Windenergie ist sehr umfangreich und deckt viele verschiedene Bereiche ab. Wie sind Sie dafür vorgegangen?

Heidi Henrichs: Um die wichtigsten Einflussfaktoren von Onshore-Windkraftsystemen zu identifizieren, führten wir zunächst eine systematische Literaturklassifikation durch. So konnten wir die relevanten Studien identifizieren und auswählen. Insgesamt wurden so mehr als 400 Studien ausgewählt. Im Hauptautoren-Team haben wir dann in mehreren Diskussionsrunden diese in 14 zentrale Kategorien zusammengefasst.

Das Jülicher Team hat sich dabei um die fünf Bereiche gekümmert: Auswirkungen auf die Landschaft, Auswirkungen auf das Energiesystem, Soziale Akzeptanz, Systemintegration und End of Life Challenges – also unter anderem mögliches Recycling von Rotorblättern.

Sicher beeinflussen sich die einzelnen Bereiche auch gegenseitig. Gibt es beispielsweise ein Zusammenspiel von Auswirkungen auf die Landschaft und Akzeptanz in der Bevölkerung?

Jann Weinand: Bei der Akzeptanz spielen verschiedene Aspekte eine Rolle. Studien haben gezeigt, dass die lokale Akzeptanz verbessert werden kann, indem beispielsweise die Bevölkerung vor Ort in Planungsprozesse einbezogen wird, sich finanziell an Projekten beteiligt – oder die Auswirkungen auf die Landschaft minimiert werden. Welche Maßnahmen letztendlich am wirksamsten sind, hängt von den örtlichen Gegebenheiten ab.

So wurden beispielsweise in Großbritannien und Deutschland in der Vergangenheit Onshore-Windkraftanlagen in schönen Landschaften eher abgelehnt, weshalb Windparks in der Regel in Landschaften errichtet wurden, die als weniger schön gelten.

Dr.-Ing. Jann Weinand
Dr.-Ing. Jann Weinand
Forschungszentrum Jülich / Ralf-Uwe Limbach

Während in Deutschland gute Windressourcen, also hohe Windgeschwindigkeiten und damit geringere Kosten pro erzeugter Kilowattstunde Strom, nicht so sehr mit der Schönheit der Landschaft korrelieren, finden sich in Großbritannien die besten Windressourcen in schönen und abgelegenen Landschaften wie den schottischen Highlands. Dies würde eine optimale Planung in Großbritannien für dieses eine Planungskriterium vergleichsweise erschweren.

Die Studie nennt einige Lösungsansätze für das Recycling-Problem, wie neue Fertigungsweisen und Materialien für die Rotorblätter. Werden damit alle Recycling-Sorgen in der Zukunft gelöst sein?

Heidi Heinrichs: Die neue Generation von Rotorblättern löst nicht das Problem der bereits bestehenden Windkraftanlagen. Insbesondere in Deutschland, wo die Deponierung und Verbrennung verboten ist, bleiben nur wenige Optionen, wie beispielsweise das Downcycling zu Füllmaterialien.

Die Rotorblätter stellen zwar eine der größten Herausforderungen für das Recycling dar, aber nicht die einzige. Hinzu kommt etwa das Recycling der kritischen Rohstoffe, die in den Permanentmagneten der Direktantriebe enthalten sind. Diese Herausforderung hat aufgrund der deutschen Importabhängigkeit auch eine entscheidende geopolitische Dimension. Dieses Problem besteht nicht nur für Windkraftanlagen, sondern auch für andere Produkte, die Permanentmagnete verwenden, wie beispielsweise Elektromotoren.

Diese branchenübergreifende Verwendung von Permanentmagneten erhöht die Herausforderung der Materialversorgung noch weiter, aber bietet auch eine Chance: Branchenübergreifende Bemühungen zur Lösung dieses Problems können Synergien für gemeinsame Entwicklungen schaffen. Wie sich solche möglichen sektorübergreifenden Materialengpässe auf die Energiewende auswirken können, untersuchen wir auch im Rahmen meines ERC-Grants MATERIALIZE.

Originalpublikation: McKenna R, Lilliestam J, Heinrichs H et. al. System impacts of wind energy developments: key research challenges and opportunities. Joule, DOI: 10.1016/j.joule.2024.11.016

Ansprechpartner:innen

  • Institute of Climate and Energy Systems (ICE)
  • Jülicher Systemanalyse (ICE-2)
Gebäude 03.2 /
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+49 2461/61-96260
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Dr.-Ing. Jann Weinand

Department Head "Integrated Scenarios"

  • Institute of Climate and Energy Systems (ICE)
  • Jülicher Systemanalyse (ICE-2)
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Dr. Regine Panknin

Pressereferentin

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    Letzte Änderung: 27.01.2025