Digitale Ebenbilder

Ob Acker oder Klimakammer: In Jülich entstehen am Rechner virtuelle Abbilder der Landwirtschaft. Mit solchen digitalen Zwillingen lässt sich nicht nur der Ertrag optimieren, sondern auch der Klimaschutz vorantreiben.

Zwei Forscher vor einem Bildschirm mit Daten
Am Bildschirm können Sander Huisman (l.) und Felix Bauer die Einstellungen des digitalen Zwillings vom Damianshof anpassen.
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Wenn Dr. Felix Bauer an „seinem“ landwirtschaftlichen Hof arbeitet, muss er dazu nicht in den Stall oder aufs Feld. Er setzt sich einfach an seinen Rechner; Bauer ist kein Landwirt, sondern Forscher. Zusammen mit Kolleg:innen am Institut für Bio- und Geowissenschaften (IBG 3) hat er ein virtuelles Ebenbild des 30 Kilometer entfernten Damianshof erschaffen – einen digitalen Zwilling.

Der reale Hof in der Gemeinde Rommerskirchen wird in der sechsten Generation bewirtschaftet; auf rund 115 Hektar baut die Familie Zuckerrüben, Kartoffeln und Getreide an. Sie setzt hierbei auf nachhaltige Landwirtschaft. Der digitale Zwilling des Hofs ist Teil des Projekts ReGenFarm von Jülich und der Bayer AG.

Mit einem digitalen Zwilling lassen sich Prozesse und Maßnahmen verstehen, testen und optimieren, aber auch bestimmte Szenarien modellieren, um Vorhersagen abzuleiten. Alle Berechnungen basieren auf umfangreichen Informationen aus der realen Welt. Im Fall des Hofs sind das Daten über die Felder, Fruchtfolgen, Düngetermine oder Bewässerungen, aber auch Klima- und Wetterdaten sowie Standorteigenschaften, etwa zur Bodenbeschaffenheit.

Felix Bauer kann mithilfe des virtuellen Hofs beispielsweise simulieren, wie sich eine unterschiedliche Bewirtschaftung der Felder oder die Folgen des Klimawandels auf die Bodenqualität oder die Erträge auswirken. „Unsere Erkenntnisse sollen Landwirte bei Entscheidungen in ihrer täglichen Arbeit unterstützen, etwa wann gedüngt werden sollte“, erklärt der Agraringenieur.

Carbon-Farming-Ansatz

Die zentrale Frage beim Projekt ReGenFarm ist: „Wie lässt sich mehr Kohlenstoff in den Boden einbringen?“, erklärt Projektleiter Prof. Sander Huisman vom IBG-3. Dahinter steckt das Konzept des „Carbon Farming“. Es zielt darauf ab, der Atmosphäre das Treibhausgas CO₂ zu entziehen und langfristig in landwirtschaftlich genutzten Böden zu speichern. Dies gelingt etwa durch den Anbau von Zwischenfrüchten, optimierte Sorten und Fruchtfolgen, Rückführung von Ernterückständen oder durch den verstärkten Einsatz von organischem Dünger.

Dieser Ansatz bekämpft nicht nur den Klimawandel, sondern verbessert gleichzeitig die Qualität und Gesundheit des Ackerbodens, weil der Kohlenstoff fruchtbaren Humus bildet.

Obendrein lohnen sich Carbon-Farming-Maßnahmen, weil die Landwirte wegen des zusätzlich gespeicherten Kohlenstoffs CO2-Zertifikate verkaufen können. „Mit unserem Modell können wir die verschiedenen Optionen für Carbon Farming simulieren und bewerten – etwa in Bezug auf die im Boden gespeicherte Menge an Kohlenstoff und die Erträge“, sagt Huisman.

Klimaszenarien der Zukunft

Andrea Schnepf
Expertin für die Wurzelzone: Andrea Schnepf, ist Leiterin der Gruppe Soil, Root Systems and Rhizosphere Processes.
Forschungszentrum Jülich / Sascha Kreklau

Noch komplexer als bei ReGenFarm wird es beim digitalen Zwilling der Forschungsplattform AgraSim. Dort geht es nicht nur um Kohlenstoff, sondern um ein ganzes Bündel an Interaktionen zwischen Boden, Pflanze und Atmosphäre. Die Daten aus der realen Welt liefert eine riesige Anlage in einer Halle auf dem Campus. Zu ihr gehören sechs wuchtige Metallzylinder, die in garagengroße Klimakammern übergehen: „Die Zylinder sind jeweils mit drei Tonnen echtem Ackerboden gefüllt. Zusammen mit den Kammern bilden sie ein von der Außenwelt abgeschlossenes Ökosystem“, erläutert Prof. Andrea Schnepf, die zum interdisziplinären Team von AgraSim gehört. Die Anlage erlaubt es den Forscher:innen, etliche Parameter präzise zu regulieren – zum Beispiel CO₂-Konzentration, Luftfeuchtigkeit und Niederschlag, aber auch Temperatur und Wassergehalt des Bodens.

„So können wir Pflanzen unter ganz unterschiedlichen Bedingungen kultivieren, beobachten und die Auswirkungen künftiger Klimaszenarien auf landwirtschaftliche Anbausysteme untersuchen“, sagt Schnepf. Die Daten aus den Versuchen fließen künftig direkt in einen digitalen Zwilling ein. Er wird auf einem der Jülicher Hochleistungscomputer laufen und berechnen, wie sich das Ökosystem entwickelt. Seine Ergebnisse vergleichen die Forscher:innen mit den Werten aus den Experimenten – etwa Pflanzen- und Wurzelwachstum oder Gasaustausch zwischen Boden, Pflanze und Atmosphäre. So lassen sich Vorhersagen des digitalen Zwillings überprüfen und dessen Qualität weiter verbessern.

Harrie-Jan Hendricks-Franssen,
Harrie-Jan Hendricks-Franssen, Leiter der Gruppe Stochastische Analyse terrestrischer Systeme, verbessert Modellvorhersagen.
Forschungszentrum Jülich / Sascha kreklau

Während Schnepf die kleinskaligen Vorgänge im Bereich der Wurzelzone modelliert, kümmert sich Prof. Harrie-Jan Hendricks-Franssen vor allem um Prozesse von kontinentaler Größenordnung. „Wegen des Klimawandels erwarten wir in Zukunft mehr Extremwetterereignisse, also beispielsweise starke Niederschläge oder Dürreperioden.“

Um das zu berücksichtigen, nutzt er sogenannte Storyline-Simulationen: „Man verschiebt die atmosphärischen Strömungsbedingungen, die bereits zu Extremereignissen geführt haben – wie etwa zur Trockenheit 2018 –, in eine um ein paar Grad wärmere Zukunft“, sagt Hendricks-Franssen. Aus solchen Modellierungen bekommt er alle notwendigen Klimavariablen, um die Kammern für das gewünschte Szenario einzustellen.

„Unsere Modelle für die Wechselwirkungen zwischen Boden, Pflanzen und Atmosphäre brauchen allerdings sehr viel Rechenzeit“, so der Wissenschaftler. Das liegt daran, dass diese Simulationen viele physikalischen und biophysikalischen Prozesse im Detail berechnen müssen. Daher werden er und seine Kolleg:innen auch auf KI-Modelle setzen. „Sie prognostizieren die Zukunft anhand der im Training erlernten Zusammenhänge, ohne ständig physikalische Gleichungen zu lösen. Dabei sind sie zwar etwas weniger genau, schaffen aber viele Simulationen in kurzer Zeit“, erläutert Hendricks-Franssen.

Die Forscher:innen erhoffen sich davon Vorhersagen darüber, wie sich die Landwirtschaft am besten an künftige klimatische Bedingungen anpassen lässt: Welche Sorten wachsen am besten? Welche Fruchtfolge ist am ertragreichsten? Welche Maßnahmen erhöhen die Bodenqualität und sind klimafreundlich? So lohnt sich der digitale Zwilling am Ende doppelt: für die Landwirte und das Klima.

Vielfältige Zwillinge: Jülicher Forscher:innen entwickeln und nutzen digitale Zwillinge in verschiedenen Bereichen, von Gesundheit bis zur Energiewende. In der europäischen Forschungsinfrastruktur EBRAINS entstehen zum Beispiel individuell personalisierte Gehirnmodelle, mit denen sich Therapien für psychische Erkrankungen virtuell erproben lassen. In der Energieforschung dient der Jülicher Campus als Reallabor: Der digitale Zwilling des Living Lab Energy Campus (LLEC) verknüpft Gebäude, Netze, Speicher und Wärmesysteme, um ein intelligentes, nachhaltiges und wirtschaftliches Energiesystem zu ermöglichen. Medizinforscher:innen wiederum arbeiten an einem digitalen Abbild einer menschlichen Zelle. Damit versuchen sie, Krankheitsprozesse zu verstehen und Therapien maßzuschneidern. Jülich beteiligt sich darüber hinaus am Projekt „Destination Earth“, welches ein virtuelles Abbild der gesamten Erde und ihres Klimas erschafft: der bislang größte digitale Zwilling überhaupt. Unterstützung kommt stets vom Jülich Supercomputing Centre, das Rechner passgenau für digitale Zwillinge einrichtet und optimiert.

Dieser Artikel ist Teil der effzett 2/2025. Text: Janosch Deeg

effzett online
Alle Ausgaben
Printabonnement
Letzte Änderung: 04.12.2025